Ein Brauseschwein mit Dönergeschmack
An diesem Vormittag war im Lehrerzimmer der Grundschule in der Friedlandstraße in Holweide deutlich ruhiger als in den Vorjahren und doch herrschte Nervosität unter den Vorlesern – vier Männer und vier Frauen, die sich hier versammelt hatten, um in den Klassen im Rahmen des bundesweiten Vorlesetags vorzulesen. Jedes Jahr am 3. Freitag im November organisiert der Bücherwurm, Die Bücherei an der Versöhnungskirche, ein großes Vorlesefest und es wird in allen Schulen und KiTas im Veedel zeitgleich vorgelesen, in diesem Jahr auch wieder „in echt“.
Sven Johannsen las der 3b von der kleinen Lucy, dem Brauseschwein, vor
Alle VorleserInnen trugen FFP2-Maske und saßen auf Abstand. Manch einer von ihnen wird sich sicher gefragt haben, ob die Kinder trotz Maske alles gut verstünden. Schon wurden die ersten Vorleser von je zwei Kindern abgeholt und in die Klassen geführt. Sven Johannsen, Vorsitzender der Bürgerstiftung Köln, war einer von ihnen. Er las in der Klasse 3b von Frau Köppen aus „Schuld war nur das Brauseschwein“. Die Geschichte handelt von der kleinen Lucy, die es niemals pünktlich in den Unterricht schafft und sich hierfür viele Gründe ausdenkt, die sie ihrer Lehrerin Frau Agathe Weißbrot auftischt. Ein Brauseschwein sei schuld an ihrer Verspätung.
Die 3b tauchte sofort mit Begeisterung in die Geschichte ein, die von Johannsen gut vorbereitet worden war. An verschiedenen Textstellen unterbrach er das Vorlesen, stellte Fragen und konnte die Kinder schnell in seinen Bann ziehen. Schon zu Beginn stellte er die Frage, ob denn alle wüssten, was Schweine für ein Geräusch machen. Nachdem die ganze Klasse unisono in ein wildes Grunzen verfiel, nahm er den Faden grinsend wieder auf und las ein Stückchen weiter bis die nächste Frage nach dem Geheimnis, dem besonderen Geschmack des rosa Tieres beim Lecken über dessen Körper, aufkam. Von Himbeerbrause, denn „das Schwein sei ja nun mal rosa“, bis zu“ Kaugummi-Eis“, “ Erdbeergetränk mit Schokolade“ und „Döner mit Soße“ tauchten nach und nach die Lieblingsgeschmäcker der Kinder auf. Auch ein „Fußballgeschmack“ war schließlich mit dabei.
Ganz beseelt von der Premiere
„Wir standen im Sommer vor der Entscheidung, wieder ein ausschließlich digitales Angebot vorzubereiten oder doch wieder Vorleser in die Klassen einzuladen“, so Jutta Hetfleisch-Brandt, die seit neun Jahren den Vorlesetag organisiert. „Da sich zwei der drei Grundschulen für eine Präsenzveranstaltung entschieden, haben wir unsere analogen Vorleser direkt wieder reaktivieren können.“ Johannsen war einer dieser „analogen“ Vorleser. Für ihn war es allerdings eine Premiere. Er war im Anschluss geradezu beseelt, weil die Klasse 3b so viele phantasievolle Ideen rund um die Geschichte entwickelte. Im nächsten Jahr will er in jedem Fall wieder mit dabei sein.
Aber es gab auch digitale Beiträge: Für die Berthold-Otto-Gemeinschaftsgrundschule und einige KiTas wurden daneben 17 Filme produziert, u.a. von Mitarbeitern des Lübbe-Verlags. Die waren in diesem Jahr mit insgesamt 16 Mitarbeitern aktiv. Hinzu kamen Engagierte des Vereins Axa – Von Herz zu Herz sowie vielen weitere treue VorleserInnen. „Unser KiTa-Vorlesegebiet haben wir dieses Jahr erstmals ausgeweitet und VorleserInnen auch bis nach Buchheim und Höhenhaus entsendet“, freute sich Hetfleisch-Brandt.
Ein Zeichen für die Bedeutung des Vorlesens
Der Bundesweite Vorlesetag ist seit 2004 Deutschlands größtes Vorlesefest. Er basiert auf einer gemeinsamen Initiative von DIE ZEIT, Stiftung Lesen und Deutsche Bahn Stiftung. Jedes Jahr am dritten Freitag im November setzt der Aktionstag ein öffentliches Zeichen für die Bedeutung des Vorlesens. So sollten Kinder und Erwachsene gleichermaßen für Geschichten begeistert werden. Dazu werden auch PolitikerInnen, Prominente und Ehrenamtliche motiviert, vorzulesen – egal, ob zuhause, in Schulen und KiTas oder digital. Bundesweit haben in diesem Jahr 590.000 Freiwillige Kindern vorgelesen.
Fotos: Astrid Olmes